OB-Wahl in München: LiMux Erfolg ausbauen, Umstellungsschmerzen abarbeiten
Die Free Software Foundation Europe veröffentlichte heute
gemeinsam mit dem Förderverein für eine Freie
Informationelle Infrastruktur München ihre Freie-Software-Wahlprüfsteine
für die Wahl der Oberbürgermeisterin bzw. des Oberbürgermeisters der Stadt
München am 16. März 2014. Die OB-Kandidatinnen und -Kandidaten konnten sich
zu Fragen hinsichtlich Freier Software und Offener Standards in München im
Allgemeinen und des LiMux-Projekts im Speziellen sowie sicherer
Kommunikationsmöglichkeiten und der kommunalen Datenweitergabe äußern.
Neben den bereits im Stadtrat vertretenen Parteien SPD, CSU, Grüne, FDP, Die
Linke, Bayernpartei und ÖDP legten auch AfD sowie Piraten ihre Positionen dar.
Die fast vollständige Umstellung der Münchner Verwaltungs-IT auf Freie
Software, das sogenannte LiMux-Projekt, wird außer von der CSU grundsätzlich
als Bereicherung für die Stadt gesehen. Sehr erfreulich ist auch, dass die
Aspekte Freiheit und Unabhängigkeit von proprietären Softwareanbietern
inzwischen von den Politikerinnen und Politikern mindestens als ebenso wichtig
betrachtet werden wie die Kosten.
Trotz ihres umfassenden Bekenntnis zu Freier Software wurden jedoch immer
wieder Probleme mit der Software in der Verwaltung genannt. Diese stehen aber
offenbar eher mit der IT-Organisation an sich als der eingesetzten (Freien)
Software in Zusammenhang. Es besteht aber den Aussagen nach der Wille, diese
technischen und organisatorischen Probleme gezielt und unter Beibehaltung von
Freier Software zu lösen. Auch wurde mehrheitlich geschrieben, dass der Einsatz
von Freier Software in weiteren Bereichen, insbesondere des Bildungswesens,
anzustreben sei. Mit Erstaunen nehmen wir allerdings auch die Verwechselung von
Freier Software, also Software die man verwenden, untersuchen, weitergeben und
ändern darf, mit kostenloser Software (Freeware) durch Josef Schmid/CSU zur
Kenntnis. Auf dieses Mißverständnis scheint seine in weiten Teilen ablehnende
Haltung gegenüber dem LiMux-Projekts begründet.
Gesichterte elektronische Kommunikation halten fast alle Befragten im Moment
noch für zu komplex und daher auch noch nicht massentauglich. Es wird als
Alternative auf die Briefpost und das persönliche Gespräch verwiesen. Beim
kommunalen Datenhandel sprechen sich fast alle dafür aus, vor der Weitergabe
die Erlaubnis der Bürgerinnen und Bürger einzuholen (Opt-In) statt ihnen nur
ein Widerspruchsrecht einzuräumen (Opt-Out).
Einige Ergebnisse der Befragung
Nennt man München und Freie Software in einem Satz, folgt mit hoher
Wahrscheinlichkeit auch kurz darauf der Begriff LiMux. Dieser
aus den Wörtern Linux und München gebildete Projektname steht für die
Umstellung der städtischen IT-Systeme auf Freie Software und stellt ein
international wahrgenommenes Leuchtturmprojekt dar. Die Stadt München begab
sich mit diesem bis dato beispiellosen Vorhaben klar in eine Vorreiterrolle für
andere Kommunen, Länder und Firmen in der ganzen Welt.
Diese Einschätzung teilt auch eine deutliche Mehrheit der Befragten. Das
Thema LiMux, stellvertretend für Freie Software und Offene Standards, steht
also für die Münchner Kandidatinnen und Kandidaten genauso auf der Tagesordnung
wie z.B. Defizite bei Kita-Plätzen oder die Untertunnelung des Englischen
Gartens. Dabei wird LiMux nicht nur positiv bewertet. Durchweg alle
Kandidatinnen bzw. Kandidaten, die bereits in engerem Kontakt mit der
Stadtverwaltung stehen, berichten von Schwierigkeiten beim Einsatz der
Software. So schreibt Michael Mattar von der FDP "Die Unzufriedenheit bei den
städtischen Mitarbeitern ist enorm." Ähnliche Aussagen waren auch bereits von
Sabine Nallinger, Grüne, während des Wahlkampfs zu hören. Brigitte Wolf von der
Partei Die Linke sieht auch Probleme und regt an: "Die Unzufriedenheit mit dem
LiMux System kann sicherlich nur reduziert werden indem die Anwenderinnen und
Anwender umfangreicher im Umgang mit dem System geschult werden." Wo diese
Schwierigkeiten herkommen, beschreibt Nallinger so: "Wir haben anfangs den
Aufwand unterschätzt. Das hat aber auch damit zu tun, dass wir keinen
Überblick hatten, wie heterogen und vielfältig die Software-Landschaft der
Münchner Stadtverwaltung war." Auch wenn man berücksichtigt, dass in grossen
Verwaltungen fast immer eine gewisse Unzufriedenheit mit der bestehenden
IT-Lösung existiert: Es scheint, dass hier LiMux auch einen Teil der mit jeder
Umstrukturierung und Konsolidierung einher gehenden Unzufriedenheit zugerechnet
bekommen hat.
Der Großteil der Befragten spricht sich daher dafür aus, diese
Unzufriedenheit systematisch abzuarbeiten. Stellvertretend schreibt Michael
Mattar von der FDP: "Wir werden in der neuen Amtsperiode in jedem Fall
gezwungen sein, diese Schwächen systematisch zu eruieren und einen
Maßnahmekatalog zu erstellen, um die Schwierigkeiten in der Praxis abzubauen.
Ich gehe davon aus, dass dies gelingen wird, da ein Systemwechsel sicher zu
unvertretbaren Kosten führen würde." Diese Standard-Vorgehensweise für
komplexe Systeme unabhängig vom Hersteller scheint lediglich Josef Schmid,
Kandidat der CSU, nicht zu unterstützen. In seiner Argumentation bedient er sich
leider auch längst vergessen geglaubter Klischees, so stellt er die Behauptung
auf, dass Freie Software kostenlos sein müsse. Er weist darüber hinaus in
seiner Antwort darauf hin, dass die Verbreitung Freier Software nicht in den
Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge gehöre. Andere Parteien zeigten in Bezug
auf die zentrale Rolle der Informationstechnologie für Gesellschaft, Wirtschaft
und Bildung deutlich mehr Bewusstsein und waren sich in unterschiedlicher
Ausprägung einig, hier mehr für den IT- und Wissensstandort München tun zu
wollen.
Die Enthüllungen von Edward Snowden haben der Weltöffentlichkeit schmerzhaft
vor Augen geführt, dass es eine flächendeckende Überwachungsmaschinerie gibt,
vor der man sich nur schwer schützen kann. Unbestritten effektiv ist aber nach
wie vor der Einsatz von starker Kryptographie in quelloffener Software. Daher
wollten wir wissen, ob man mit den Kandidatinnen und Kandidaten verschlüsselt
kommunizieren könne und ob es Ideen gibt, wie sichere Kommunikation mit der
Verwaltung aussehen könnte.
Die ÖDP hat das Thema nach eigener Aussage schon länger auf ihrer Agenda:
"Diese Problematik (Industriespionage) haben wir bereits in unseren Anträgen
2003 angesprochen." Bemängelt wird aber, dass die gängigen
Verschlüsselungsverfahren für Normalanwenderinnen und -anwender noch zu
kompliziert seien. Einen konkreten Lösungsansatz beschreibt Brigitte Wolf, Die
Linke: "Vielmehr würde ich mich dafür einsetzten, dass die Stadt ihren
Bürgerinnen und Bürgern Informationen über die Software und Handhabung bereit
stellt und erklärt, wie diese funktionieren und warum sie wichtig sind. Dabei
benötigen wir sicherlich Schulungen für die Beschäftigten. Hier würde ich mich
dafür einsetzen, dass diese obligatorisch sind und schon während der Ausbildung
angeboten werden. Eine weitere Option wäre es, die interne Kommunikation der
städtischen Stellen auch über vertrauliche E-Mail-Kommunikationskanäle laufen
zu lassen, hier handelt es sich oftmals ja auch um sensible Daten."
Zusammenfassend ist das Bewusstsein parteiübergreifend geschärft, aber es
hapert oft noch an der konkreten Umsetzung. Treffend beschreibt der Kandidat
der Bayernpartei, Horst Münzinger, den Anspruch: "Der Schutz persönlicher
Übermittlungskanäle und Daten vor dem Zugriff durch Dritte hat in der
Kommunikation zwischen öffentlichen Stellen und Bürgern absoluten
Vorrang."
Im Jahr 2013 wurde ein neues Bundesmeldegesetz verabschiedet, welches unter
Anderem die Weitergabe von Meldedaten zu gewerblichen Zwecken neu behandelt.
Bürgerinnen und Bürgern wird zwar die Möglichkeit gegegeben, der Weitergabe der
Daten in einigen Fällen zu widersprechen (Opt-Out), doch wird über diese
Möglichkeit nur zurückhaltend informiert und setzt eine aktive Handlung voraus.
Wir wollten daher wissen, ob die Kandidatinnen und Kandidaten sich nicht dafür
einsetzen wollen, dass die Weitergabe nur nach der Zustimmung durch die
Betroffenen erfolgen darf (Opt-In). Aus den Antworten nahezu aller Parteien
ließ sich entnehmen, dass die Opt-In-Variante zu präferieren sei. Dieter Reiter
von der SPD merkt allerdings an: "Wir geben zu bedenken, dass nicht nur
Parteien, sondern auch viele Organisationen und Privatpersonen bei einem
Opt-in-Verfahren Nachteile in Kauf nehmen müssten. Kommerzielle hingegen kaufen
sich ihre Daten notfalls teuer woanders." Sabine Nallinger von den Grünen setzt
die Prioritäten dagegen deutlich anders: "Es gibt ein Recht auf informationelle
Selbstbestimmung, das muss gerade für obligatorisch erhobene Daten von Behörden
gelten. Staatliche Melderegister sind keine Grabbeltische der Privatwirtschaft.
Nur die Daten von den Bürgerinnen und Bürgern, die explizit einem Verkauf der
eigenen Daten zustimmen, werden weitergegeben (Opt-In-Verfahren). Das Interesse
der Werbewirtschaft und von Adresshändlern muss hintanstehen."
Verweise
Die FSFE Wahlprüfsteine der Wahl der Oberbürgermeisterin bzw. des Oberbürgermeisters der Stadt München 2014
Wahlprüfsteine vergangener Wahlen:
Nordrhein-Westfalen
Schleswig-Holstein
Saarland
Berlin
Bremen
Rheinland Pfalz
Baden Württemberg
Sachsen Anhalt
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